Entwaffnend
ehrlich: Mit 23 hat Jennifer Lawrence bereits einen Oscar gewonnen, ihre
Rolle in "Die Tribute von Panem" machte sie zum Megastar und
Teenie-Idol. Dem Irrsinn des Showgeschäfts begegnet sie mit berührender
Natürlichkeit. Noch.
Für Jennifer Lawrence steht an diesem Interview-Tag im Berliner
Nobelhotel Adlon ein großzügiges Sofa bereit. Jede andere junge
Top-Schauspielerin würde sich schüchtern, vielleicht argwöhnisch darauf
niederlassen. Doch Lawrence lächelt, seufzt ein wenig erschöpft vom Flug
aus London und dem folgenden Interview-Marathon, und legt sich erst
einmal lang, macht es sich bequem, als wäre man der dickste Kumpel,
nicht der fremde Fragensteller. Jennifer Lawrence ist die einzige Actionheldin, die Hollywood derzeit aufbieten kann, und nicht nur das junge, weibliche Publikum nimmt sie als Identifikationsfigur dankbar an. Auf sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook wird "J-Law" angeschmachtet und für ihre Vielseitigkeit bewundert: "Gibt es irgendetwas, was Jennifer Lawrence nicht kann?, lautet eine staunende Frage, auf die man häufig stößt, wenn man sie googelt. Tatsächlich ist ihre Fähigkeit, als versierte Schauspielerin, Actionstar und Alleinunterhalterin zu begeistern, momentan ohne Beispiel in der Showbranche. Mit sympathisch rustikalen Talkshow-Auftritten, in denen sie munter über Stripshow-Besuche und ihre Fähigkeiten im Weitpinkeln berichtet, wurde sie zum YouTube-Phänomen.
"Ruhm ist nicht fair"
Den vordergründig leichtfertigen Umgang mit so viel Rummel um ihre Person musste Lawrence, die in ländlicher Umgebung bei Louisville in Kentucky aufwuchs, erst lernen. "Ruhm ist nicht fair. Wenn Sie erwarten, dass er fair ist, fangen Sie eines Tages an zu weinen, und das habe ich getan. Dann habe ich versucht, mich daran zu gewöhnen, und das hat etwa zwei Jahre gedauert. Ich frage mich allerdings, ob man sich jemals ganz daran gewöhnen kann. Diese Männer, die mit ihren Kameras vor meinem Haus darauf warten, dass ich aus der Tür trete, können einem Angst machen", sagt sie.
Ihr größtes Problem: Sie kann sich nicht mehr unbemerkt unters Volk mischen. "Man fühlt sich, als würde man nicht mehr zur menschlichen Rasse gehören. Die Leute geben dir ständig das Gefühl, anders zu sein, besonders. Wenn ich eine Tasse Kaffee bestelle, geht ein Raunen durch den Raum. Das macht nicht glücklich, das befremdet. Ich will doch nur einen Kaffee! Alle denken immer, du veränderst dich, wenn du berühmt bist. Nein, alle um dich herum verändern sich."
Mit der Vorbildfunktion für ihre Fans, von denen zahlreiche schon in der Nacht vor der Gala-Premiere von "Catching Fire" vor dem Berliner CineStar-Kino campierten, hat sie weniger Probleme: "Die Aufregung dieser Mädchen überträgt sich komplett auf mich. Ich habe oft ein schlechtes Gewissen, weil ich einen so tollen Job habe und dafür auch noch so viel Geld bekomme. Aber wenn ich diese Mädchen sehe, wie sie von einem Film, an dem ich beteiligt bin, so begeistert sind, dann ist meine Freude ungetrübt."
"Hättest du mal besser die Klappe gehalten"
Außerdem sage und tue sie ja auch weiterhin, was sie wolle und müsse in der Öffentlichkeit nichts zurückhalten. Dieser Teil ihrer Persönlichkeit, "der immerzu redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist", bringe sie aber auch oft genug in Schwierigkeiten: "Dann denke ich: Hättest du mal besser die Klappe gehalten", sagt sie lachend und macht dazu wild grimassierend eine Geste, als würde sie sich eine zusammengerollte Socke in den Mund stopfen.
Ihren Durchbruch erlebte Lawrence vor drei Jahren im Armuts-Drama "Winter's Bone". Ihre hemdsärmelige, aber fein ausdifferenzierte Darstellung der 17-jährigen Ree Dolly, die im bitterarmen Landbezirk Ozark County ihre Familie durchbringen muss, brachte dem Naturtalent, das nie eine Schauspielschule besucht hat, eine Oscar-Nominierung ein. Zwei Jahre später erhielt sie die Hollywood-Trophäe als sexsüchtige und verkorkste junge Witwe in David O'Russells Komödie "Silver Linings".
So etablierte sie sich einerseits als Charakterdarstellerin für anspruchsvolle Dramen, andererseits wurde sie als tapfere Katniss in der "Panem"-Reihe und als komplexbehaftete Mutantin Mystique in "X-Men: Erste Entscheidung" zum Mainstream-Idol. Demnächst ist sie in einer Neuverfilmung des Steinbeck-Klassikers "Jenseits von Eden" zu sehen. Die letzten beiden "Panem"-Teile werden 2014 unter anderem in Berlin gedreht; eine neue "X-Men"-Episode kommt im Frühjahr ins Kino. Ihr Lieblingsprojekt ist jedoch ihre Hauptrolle in der Verfilmung der Memoiren "The Glass Castle", in denen die Autorin Jeannette Walls ihre Kindheit in einer dysfunktionalen Familie schildert.
Am Abend muss sie wieder raus, über den roten Teppich laufen, sich bejubeln lassen. Hat sie davor Angst? "Nein, gar nicht", lacht sie fröhlich. "Dann springe ich in eine Parallelwelt und rufe 'Wow'!"
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